Für alle Interessierten veranstalte ich am 22. April um 18:00 Uhr im Gemeindehaus Sprollenhaus einen ,,Nepal-Abend" mit einem kleinen Vortrag, nepalesischem Essen und gemütlichem Zusammensein. 


wer wenn nicht wir?

14. Dezember 2016

 

Ständig hört man davon, sieht es während einer Werbepause über den Fernseher flackern oder auf einem Plakat über dem Bahnhof hängen - um die Weihnachtszeit besonders viel. Brot für die Welt, Welthungerhilfe, Kindernothilfe, Unicef….alle machen auf die Armut und fehlende Rechte in dritte Welt Ländern aufmerksam. Aber mal ehrlich-interessiert und das wirklich? Sehen wir uns das wirklich an und denken dann: ,,Ich habe so ein riesen Mitgefühl und würde sofort etwas spenden". Ich denke eher nicht und auch ich zähle mich zu den Menschen, die dieser ,,Werbung" wenig Aufmerksamkeit und Vertrauen schenkten. Ist das nicht alles total übertrieben dargestellt? Dramatisiert? Und stecken die Organisationen die Hälfte der Spenden nicht selber ein? Und fragen wir uns nicht alle manchmal warum Gott all das Leid und die Armut zulässt?
Mein Reise hat mich verändert - nicht in der Hinsicht, dass ich der Werbung jetzt mehr Aufmerksamkeit schenke, aber darin, dass ich weiß, dass sie der Wahrheit entspricht. Ich war zwar nicht in Afrika, ich habe auch kein tausende hungernden Kinder und auch keine hundert vergewaltigte und verstoßene Frauen gesehen. Aber ich habe 100 hungernde Menschen gesehen und eine misshandelte und verstoßene Frau. Ich habe Menschen gesehen, die am Existenzminimum leben, jeden Tag dasselbe essen, verschmutztes Wasser trinken, keinen Strom haben, auf der Straße schlafen und oft nur ein einziges Kleidungstück zum anziehen haben. Ich habe Menschen gesehen, die wegen dreckigem Trinkwasser an schlimmen Infektionen leiden, Kinder, die nicht zur Schule gehen können, weil sie auf dem Feld helfen und zuhause kochen müssen und Neugeborene, die wegen fehlender Transportmöglichkeiten und fehlendem medizinischem Equipment sterben. Ich habe diese Menschen gesehen, erlebt, kennengelernt und versorgt. Ich habe mitgefühlt und mitgelitten- und es ist die Wahrheit.
Fragen wir uns nicht allzu oft, ob wir uns das neue Handy jetzt wirklich kaufen sollen ohne am Monatsende vielleicht pleite zu sein. Drängt sich nicht allzu oft  der Wunsch auf, etwas mehr zu verdienen und ist nicht so, dass wir schon lange vor unserem eigentlichen Frei Urlaubspläne schmieden. Die Menschen hier stellen sich auch Fragen, aber die, ob sie sich vielleicht einmal eine neue Hose kaufen und trotzdem die Familie noch ernähren können. Sie haben auch Wünsche, aber die, sauberes Trinkwasser, Strom und Geld für Essen zu haben. Und viele haben bis jetzt nur ihr Dorf und die Umgebung gesehen. Manche noch nie einen Europäer oder ein Motorrad.
Vielleicht halten wir es für übertrieben, weil wir es noch nie mit eigenen Augen gesehen haben, weil wir es uns gar nicht vorstellen können-oder wollen. Weil wir genug mit unseren eigenen Problemen beschäftigt sind? Oder weil wir denken, das sollen andere übernehmen.

Es ist die Wahrheit. Die Wahrheit, dass wir im Luxus leben, dass wir zu dem kleinen Anteil in der Welt gehören, die sich nicht jeden Tag Sorgen über Essen, Trinken, Kleidung und ein Dach über dem Kopf machen muss. Wir rennen lieber den neusten Trends hinterher und machen uns Sorgen um zu viel Gewicht, zu kleine Wohnungen oder zu wenig Gehalt. Wir drücken den Knopf der Waschmaschine, um saubere Kleidung zu bekommen, können mit dem Auto jederzeit unser Ziel erreichen und trinken Smoothies um gesund zu bleiben.
Könnte es nicht auch einfach umgekehrt sein? Was, wenn wir nicht hier, sondern auf einem anderen Kontinent geboren wären? Was, wenn wir diejenigen wären, die in Lehmhütten schlafen, die, die drei Tage laufen müssen, um einen Arzt zu sehen und die, die mit weniger als einem USD pro Tag leben müssten. Vermutlich wären wir zufriedener mit dem was wir hätten, weil wir es nicht anders kennen würden und nicht wüssten, dass es auch noch eine andere Welt gibt. Aber wir ,,Reichen"-wir wissen, dass es noch eine andere Welt gibt, eine die nicht so viel hat wie wir und sind trotzdem nicht zufrieden? Trotzdem beschweren wir uns? Trotzdem kreieren wir Probleme, die gar keine sind und trotzdem wollen wir von all dem nichts abgeben? 

 

Sind wir nicht eigentlich alle gleich? Und was wäre, wenn wir diejenigen auf der anderen Seite wären? Wer kann etwas verändern?
Wer, wenn nicht wir?

 

,,Sometimes I want to ask God why he allows poverty,famine and injustice in the World when he could do something about it…But I am afraid he might just ask me the same question"

 


,,Extraordinary love"

11. Dezember 2016

 

 

,,We are not called by God to do extraordinary things, but to do ordinary things with extraordinary love"

- Jean Vanier -



Nicht nur medizinisch sehe und erfahre ich viel, auch kulturell. Und ich höre viele Geschichten von Patienten, habe Erlebnisse mit Familien, die ich hier gerne mit euch teilen möchte. Es ist so eine völlig andere Kultur, eine völlig andere Art zu feiern, zu essen und in der Familie zu leben.

Wenn ich einmal wieder eine persönliche Geschichte erfahre oder mitbekomme, wie hier gelebt wird, fühlt sich das oft unglaublich seltsam für mich an. Oft muss ich darüber nachdenken, wie selbstverständlich vieles für mich ist und mir wird immer mehr bewusst, dass es das eben nicht ist. Und dass ich zu der Art von Menschen gehöre, die nicht nur finanziell gesehen reich sind - sondern auch an Rechten.
Für mich als europäische Frau ist es selbstverständlich zur Schule zu gehen, eine Ausbildung zu machen oder zu studieren. Nepalesische Mädchen können oft nicht lange zur Schule gehen, weil sie zuhause gebraucht werden; kochen, ernten und auf ihre Geschwister aufpassen müssen. Von ca. 1000 geborenen Kindern, gehen im Schnitt 700 zur Schule, aber nur ca. 70 davon erreichen das 10. Schuljahr. Und nur ein ganz geringer Teil hat die Chance später tatsächlich einmal auf eine Universität zu gehen.
Für mich ist es selbstverständlich, dass ich ein Dach über dem Kopf habe und auch, dass meine Familie sich um mich kümmert. In vielen nepalesischen Familien gelten z.B Frauen, die ihre Periode haben, als unrein und schmutzig und müssen oft für eine Woche draußen bei den Tieren schlafen und dürfen das Haus nicht betreten.
Es ist für mich selbstverständlich, dass ich Entscheidungen übernehme, die mich betreffen. Nepalesische Frauen sind den Männern untergeordnet. Der Mann ist sozusagen der ,,Manager" der Familie und entscheidet auch über sein Frau. So ist es oft notwendig während eines Arztgesprächs den Mann oder den Schwiegervater der Patientin dabei zu haben und ihm die Situation zu erklären.
Für mich ist es auch selbstverständlich, dass ich entscheiden werden, wann und wen ich einmal heirate- und zwar den Mann, den ich liebe. Nepalesischen Frauen haben oft nicht die Chance dazu-der Partner wird oft von den Eltern ausgesucht, weil er aus der selben ,,Kaste" sein muss. Und es ist üblich, dass Paare hier im Alter von 16 Jahren verheiratet werden.
Ich weiß auch, dass ich einmal entscheiden werde, ob oder wie viele Kinder ich einmal haben werde, für die Frauen hier ist klar, dass sie definitiv welche haben werden und zwar so lange, bis ein Sohn dabei ist. Für jede Frau hier ist es ist unheimlich wichtig einen Sohn zu bekommen und oft ist die erste Frage nach der Geburt: Mädchen oder Junge? Und es macht mich jeden Mal fassungslos, wie enttäuscht die Mütter sind, wenn es ein Mädchen ist. Vor ein paar Tagen war ein Patientin bei uns und wir haben sie gefragt, wie viele Kinder sie hat und sie sagte: ,,Zwei" und nach einigen Sekunden fügte sie hinzu: ,,Und ein Mädchen". 30% aller Frauen, die hier ein Kind bekommen sind unter 16 Jahre alt und sie bekommen im Schnitt ca. 3,7 Kinder. ,,Reichere" Hindus tragen auch oft die hohen Kosten für eine Abtreibung, wenn sie erfahren, dass es sich um ein Mädchen handelt.

Diese Art und Weise mit Schwangerschaft, Heirat und Frauen umzugehen ist typisch für den hinduistischen Glauben, der in Nepal sehr verbreitet ist. Knapp 81% der Bevölkerung sind Hindus. Umso mehr freue ich mich dann immer, wenn ich christliche Familien kennenlerne. Irgendwie habe ich jedes Mal das Gefühl etwas besonderes zu spüren - eine andere Art der Liebe. Eine Art Wertschätzung, das Gefühl jemand zu sein, das Gefühl etwas gefunden zu haben, was einen glücklich macht und der Wunsch dies weiterzugeben. Die Menschen hier sind allgemein sehr gläubig-viel stärker als in Europa. Das liegt auch daran, dass die Armut die Menschen nach etwas suchen lässt, das ihnen Hoffnung schenkt, etwas zu dem sie für ein besseres Leben beten können. Sie suchen, aber finden nichts. Hindus glauben an wahnsinnig viele Götter und für so ziemlich jedes Gefühl und jeden Besitz gibt es einen Gott. Und für viele auch ein Ritual - so gibt es ein Fest für die Göttin Lakhsmi, die Göttin des Glücks, von Schönheit und Reichtum, an dem jeder Blumenkränze, Lichter und bunte Farben vor sein Haus legt und die Türe offen stehen lässt, in der Hoffnung die Göttin findet den Weg in ihr Haus (,,Diwali"). So wird es auch als ,,gute Tat" angesehen, Gebetsmühlen zu drehen oder den Tempel zu umrunden. Es ist verpönt mit Menschen aus niedrigeren Kasten etwas zu unternehmen oder ihnen gar zu helfen. Hindus sind der Meinung, dass jeder so lebt, wie er es sich in seinem früheren Leben verdient hat. Und wenn man Menschen in niedrigeren Kasten hilft, verschlechtert das sein eigenes Karma. Und deshalb ist es auch nicht üblich den Armen zu helfen. Und hier sind wir als Christen anders-wir helfen den Armen, wir sehen es als unsere Aufgabe, denen zu helfen, die weniger haben als wir. Und hier blicken die Menschen oft auf. Wer ist das? Warum kommt da einfach jemand und hilft, obwohl er es gar nicht nötig hat?
Ich denke, es ist die Nächstenliebe, die ich hier so sehr spüre. Das Krankenhaus hier ist ein christliches Missionskrankenhaus. Jeden Morgen werden zusammen Lobpreislieder gesungen, eine kurze Bibelstelle gelesen und gebetet - letzteres auch vor jeder OP. Vielleicht hat sich der ein oder andere schon gefragt, warum ich das hier eigentlich mache - und zu Beginn war meine Absicht, dass ich den Armen helfen möchte, dass ich meine Gaben nutzen möchte um denen zu helfen, denen es schlechter geht als mir. Das hat sich auch nicht geändert, aber es ist ein Aspekt hinzugekommen: der, dass es mich wahnsinnig erfüllt dies zu tun. Und ich fühle mich am richtigen Ort. Manchmal macht es mich traurig, dass einem die Möglichkeiten fehlen zu helfen und dass hier Menschen an simplen Infektionen oder Durchfall sterben. Aber meistens macht es mich glücklich zu sehen, dass man mit so wenig so viel erreichen kann. Und für jeden Menschen, dem wir hier das Leben retten und ihm helfen können bin ich so sehr dankbar.

Es ist manchmal auch unglaublich witzig und spannend die ganzen kulturellen Unterschiede in unserm Team zu entdecken. Oft sitzen wir zusammen und fragen uns:,,Juho, wie ist das eigentlich bei dir in Finnland?", und: ,,Anna, macht ihr das auch so in Deutschland?", oder: ,,Gibt es das in Nepal?". So ist es in der Adventszeit besonders interessant von Weihnachtstraditionen-und Bräuchen zu erzählen. Hier hat es tagsüber immer noch 25 Grad und so richtig Weihnachtsstimmung mag trotz Weihnachtsliedern und selbstgebackenen deutschen  Plätzchen nicht richtig aufkommen. Weihnachten wird hier oft am Fluß gefeiert, man trifft sich, jeder bringt etwas zu essen mit, man macht gemeinsam Picknick und singt Weihnachtslieder. Vor zwei Wochen habe ich abends einmal knapp 4kg Kartoffelpuffer und Apfelmuß gemacht und es war durchaus lustig, die Unterschiede zwischen den Kulturen zu sehen. Didi (sie ist so etwas wie unsere ,,Mama" hier) hat trotz meines Versuches die deutsche Esskultur zu erklären, Reis und Spinat dazu gekocht. Und so gab es bei manchen Puffer mit Spinat, andere aßen den Reis mit Apfelmus und Sadako (aus Japan) genoss das ganze mit Stäbchen. Trotz der Tatsache, dass meinem deutschen Magen diese Kombination etwas seltsam vorkam, waren alle total begeistert und alle Schüsseln waren am Ende leer. Vermutlich war es auch einfach eine willkommene Abwechslung, denn hier gibt es jeden Tag dhal bhad, eine Art Reis mit Linsensuppe-und das mittags und abends-manchmal mit Gemüse oder Hühnchen und manchmal mit Pickles (eingelegtes, scharfes Gemüse). Inzwischen habe ich laut Dr. Kaleb auch offiziell die Prüfung im ,,nepalesisch essen" bestanden, was aufgrund der Tatsache, dass man mit der Hand isst und es eine spezielle Technik gibt, um den Reis mit dem Daumen in den Mund zu schieben, nicht so einfach ist wie man vielleicht glaubt.
Mit der Zeit habe ich auch von der Köchin zur Kinderunterhalterin bis hin zu OP-Assistenz ziemlich viele Aufgabenbereiche entdeckt und ich war unglaublich stolz, als ich das erste Mal mit Dr.Kaleb einen Kaiserschnitt operiert habe und die Wunde zunähen durfte.
Es ist eine wunderschöne und so erfüllende Gemeinschaft und ich spüre diese Verbundenheit. Darin, dass wir an den selben Gott glauben und darin, dass wir unsere Arbeit hier in Gottes Liebe tun.

Oft, wenn wir morgens singen und beten stehen Angehörige und Patienten vor der Türe und hören zu. Oft kann man an Ihren neugierigen und fragenden Blicken ihre Gedanken erahnen - und oft wünsche ich mir dann, dass auch sie etwas von Gott erfahren. Dass sie den Weg finden zu dem Gefühl, dass es jemanden gibt, der sie liebt. Dass sie spüren, dass sie wertvoll sind, egal wie arm, als Frau geboren oder von der Familie verstoßen.


Samstags kommt ab und zu ein blinder Mann in die Kirche, der immer ganz vorne sitzt und zu jedem Lied die gleiche Melodie auf seiner Bambusflöte spielt. Aber er kommt nur manchmal - je nach dem ob er jemanden findet, der ihm den Weg zeigt


Faith, hope,love

25. November 2016

,,Ich blicke auf zu den Bergen, woher wird meine Hilfe kommen? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Und du sollt wissen: Der Herr lässt nicht zu, dass du zu Fall kommst, er gibt immer auf dich Acht [...] Der Herr ist bei dir, hält die Hand über dich [...]Der Herr wendet Gefahr von dir ab und bewahrt dein Leben. Auf all deinen Wegen wird er dich beschützen, Vom Anfang bis zum Ende, jetzt und in aller Zukunft

- Psalm 121 -

 

Dieser Psalm begleitet mich die letzten Tage und Wochen ständig. Einerseits ist es einer meiner Lieblingsstellen und andererseits passt er so gut zu all dem, was gerade in mir und um mich herum passiert.
Seit knapp zwei Wochen bin ich nun in Chaurjahari, mitten im Nirgendwo, im Westen Nepals, in einem der ärmsten Distrike überhaupt und arbeite im Missionskrankenhaus hier. Und ich erlebe jeden Tag neue Herausforderungen. Die erste begann schon in Kathmandu als ich mich in den Bus nach Jarjakot setzte. Ein alter Bus und einem Busfahrer, der scheinbar alle Regeln der Schwerkraft austesten wollte. Die ersten zwei Stunden saß ich fast nur betend auf meinem Sitz in der Hoffnung, dass kein anderer Bus entgegen kommt und dass die Achsen die holprigen ,,Straßen" aushalten. Anschließend versuchte ich zu schlafen, was mir aber aufgrund der indischen Musikvideos in Dauerschleife und voller Lautstärke nur mäßig gelang. Nach 20 Stunden und einer Fahrt über und durch Flüsse, vorbei an steilen Abhängen und zentimeterdichten Felswänden, völlig eingestaubt und müde kam ich dann in Chaurjahari an.
Und hier bin ich nun, wurde unglaublich herzlich mit Blumenkette empfangen und fühle mich inzwischen schon richtig zuhause.
Voller Vorfreude startete ich an meinem ersten Tag an der Seite von Dr. Sadichhya in die Arbeit. Aber sehr schnell war meine Freude getrübt, als ich die Bedingungen im Krankenhaus und die Patienten sah. Dicht an dicht stehen Betten nebeneinander, es liegen kranke Neugeborene direkt neben Tuberkulose-Patienten und auch wenn zu dieser Zeit wenig los war, kam mir alles doch sehr überfüllt vor. Es fällt mir bis heute schwer all das Leid und die Armut zu sehen und ich denke das wird mir auch niemals leichter fallen. Ein Dozent während meiner Rettungsdienst-Ausbildung hat einmal gesagt: ,,Mitfühlen ja - aber nicht mitleiden". Und bisher habe ich das eigentlich immer so leben können. Aber hier ist mir das nicht immer möglich, sehe ich doch jeden Tag wie sehr die Patienten leiden und wie es an jeder Ecke an etwas anderem fehlt. Ich bewundere die Ausdauer und Geduld der Ärztin, die ewig versucht mit einem stumpfen handgekurbeltem Bohrer ein Loch in einen Knochen zu bohren, um eine Platte bei einer Unterarmfraktur einzusetzen, ich bin beindruckt von der Selbstlosigkeit der Schwester, die am einen Tag ihr eigenes Kind zu Welt bringen und am nächsten schon wieder anderen Müttern bei deren Geburt hilft und ich bin sprachlos über die Patienten. die selbst mit der schlimmsten Blinddarmentzündung oder unter extremer Atemnot noch ins Krankenhausgelaufen kommen-und das manchmal nicht nur Stunden, sondern Tage. Chaurjahari ist das einzige Krankenhaus hier in der Region, das nächste größere ist ca. 6 Busstunden entfernt und fahrende Transportmöglichkeiten gibt es nicht. Über 30.000 Patienten werden hier jährlich im Schnitt behandelt und Patienten kommen von weit her - laufen teilweise tagelang oder tragen Angehörige. Auf der Behandlungskarte findet man auf der Vorderseite einen Vermerk: ,,Distance: local, hours, days". Viele kommen auch mit der Hoffnung hier her, eine Behandlung bezahlt zu bekommen, weil sie es sich selbst nicht leisten könnten. Und das obwohl eine Notfalbehandung und ein Röntgen umgerechnet nicht einmal 4Euro und eine komplette Behandlung mit Arztgespräch, Untersuchung, Bluttest und Medikamenten oft weniger als 20 Euro kostet. Aber ca. 46% der Familien leben hier unter der Armutsgrenze, also mit knapp einem USD pro Tag. Sie werden durch den ,,charity fund" bezahlt und kostenlos behandelt.
Trotz allem haben die Mitarbeiter hier alles gut im Griff und machen das Beste aus ihrer Situation und ich habe mich am Anfang oft gefragt, wo hier mein Platz ist und womit ich hier helfen kann. Leider ist das ,,mithelfen" aufgrund der Sprachbarriere etwas schwierig, aber ich bin bemüht jeden Tag etwas Nepali zu lernen. Und manchmal funktioniert auch nonverbale Kommunikation unter Krankenschwestern ganz gut und so konnte ich schon bei einer (,,meiner" ersten) Geburt dabei sein (inzwischen sind es schon ganz viele ;)),Vorsorgeuntersuchungen und Sonografie bei Schwangeren durchführen, englischen Unterricht im EKG anlegen und interpretieren geben und bei kleineren Dingen helfen. Und ich bin so dankbar darüber hier so viel sehen und lernen zu können- so habe ich in Deutschland noch nie Patienten mit Schlangenbiss, Typhus oder mit Verletzungen eines Wasserbüffels gesehen. Leider haben wir hier auch Grenzen und es bringt mich fast zum weinen, wenn hier Frühgeborene sterben, weil sie nicht adäquat behandelt werden können und das nächste Krankenhaus ohne Sauerstoff nicht zu erreichen ist. Wenn Kinder Krampfanfälle erleiden, weil die Eltern die Medikamente abgesetzt haben und jetzt viel Geld für traditionelle Heiler ausgeben,weil der Glaube daran größer ist, als in die Medizin.

Ganz besonders beeindruckt mich die Selbstlosigkeit von Dr. Kaleb und seiner Frau, die hier 7 Tage die Woche arbeiten, immer in Reichweite sind und die sich nie gemeinsam freinehmen können. Dr. Sadichhya ist heute nach Kathmandu zu der Hochzeit ihres Cousins gefahren, Dr. Kaleb wäre auch gerne dabei, aber er sagte: ,,Dann wäre hier kein Arzt mehr und dann würden hier Menschen sterben."und weiter: ,,Maybe our small effort can help others" (,,Vielleicht kann ja unser kleiner Beitrag anderen helfen".)
Ich denke, ich sehe meine Aufgabe inzwischen auch darin, die Situation durch Geschichten und vor allem meine Fotografien festzuhalten ,um vielleicht einigen in Deutschland die Augen öffnen zu können und so etwas für Chaurjahari zu erreichen.
Und trotz allem bin ich so froh und dankbar hier sein zu können und ich habe wahnsinnig viel Freude an der Gemeinschaft hier und daran mit den Einheimischen und Mitarbeitern abends zusammenzusitzen, Bibel zu lesen, Gitarre zu spielen und Lobpreislieder zu singen. Und das mit Menschen aus allen Nationen (Nepal, Korea, Japan, Deutschland, Finnland). Oft wird man auch von Einheimischen zum ,,Momos" essen eingeladen und es wird regelmäßig Fußball gespielt (wobei ich das gerne den anderen überlasse ;). Inzwischen bin ich auch stolze Besitzerin eines maßgeschneiderten traditionellen nepalesischen Kleides und bei der Bananenverkäuferin gelte ich schon als ,,Stammkundschaft" und bekomme immer eine Orange gratis dazu.
Ja, Ich
habe mich hier wirklich gut eingelebt und jeder Tag steckt voller neuer Herausforderungen. Sei es ein verrostetes Endoskop wieder zum laufen zu bringen, Momos und Kompressen akkurat zu falten, der Versuch mit zwei Wörtern Nepali etwas zu erklären oder die tägliche Konfrontation mit extremer Armut. Aber ich nehme diese Herausforderungen gerne an und jeden Tag wächst der Wunsch mehr in mir, hier eines Tages einmal als Ärztin zurückzukehren...


Namaste und bis bald !


who am i ?

04.November 2016

,,Who am I, that the lord of all the earth
would care to know my name, would care to feel my hurt?

Who am I, that the bright and morning star

would choose to light the way for my ever wandering heart?

Not because of who I am, but because of what you've done

Not because of what I've done, but because of who you are

[…] And you've told me who I am. I am yours"

- Casting Crowns - Who Am I -

 

Wer bin ich eigentlich, dass ich all das verdient habe? Eine Frage, die ich mir die letzten Wochen und vor allem die Tage während unserem medizinischen Hilfseinsatz oft gestellt habe. Menschen, die stundenlang in der Hitze ausharren, um behandelt zu werden, die Kinder und Angehörige ins Camp tragen. Menschen, die Wochen und Monate mit schlimmen Schmerzen und Infektionen leben.
Wer bin ich, dass ich es verdient habe in Deutschland zu leben, wo ein Arzt jederzeit erreichbar ist, wo man wegen eingewachsenen Zehennägeln sonntags in die Notaufnahme rennt und wo jeder Mensch innerhalb von 15 Minuten notfallmedizinische Versorgung erhalten muss.

Ein Medical Camp, dass mitten im Nirgendwo in einem verlassenen Schulgebäude stattfindet. Wo es keinen Strom, zeitweise kein Licht, kein Internet und kein Handynetz gibt. Wo wir in Lehm- und Blechhütten schlafen und uns jeden Morgen an dem einzigen Brunnen in der Umgebung waschen.

Eine ,,Klinik", wo die Diagnostik hauptsächlich auf dem Wissen und den Händen der Ärzte und Krankenpfleger(innen) beruht, wo kein Röntgen um die Ecke ist und es auch kein Blut-Labor gibt.

Was für ein Privileg habe ich, in einem Krankenhaus in Deutschland arbeiten zu dürfen, wo absolute

Hightech-Medizin Standard ist und wo fast jede Therapiemöglichkeit ausgeschöpft werden kann.

 

Die letzten 8 Tage verbrachte ich mit meinem 12 köpfigen Team von ,,Hilfe für Nepal" in Barbare und Lapilang - zwei Dörfer in der Everestregion, die recht stark vom Erdbeben betroffen waren. Hier gibt es auch bereits eine sehr kleine christliche Gemeinde und dort führten wir zusammen mit 13 nepalesischen Freunden, Helfern, Pastoren und Übersetzern ein Medical Mission Camp durch. Insgesamt behandelten wir knapp über 1000 Patienten in 4,5 Tagen und verteilten circa 23 000 Tabletten. Vom Kopfschmerz über schwere Infektionen und Abszesse bis hin zu nicht heilbaren Tumoren, Metastasen oder anderen schweren Leiden. Aufgrund den Gegebenheiten hier kann man einigen Patienten leider nicht helfen, obwohl man es gerne täte und es einem im Herzen weh tut jemanden ohne Therapie wieder gehen lassen zu müssen. Und ab und zu kommt dann doch die Frage auf, was das eigentlich bringt. Was, wenn wir nicht die korrekte Diagnose stellen und dementsprechend behandeln können, weil uns die Möglichkeiten fehlen? Aber darum geht es nicht. Das war auch eines der ersten Themen in einer unserer morgendlichen Andachten. Jeder will die Welt verändern und diesen einen großen und entscheidenden Unterschied machen, das Problem lösen. Doch einen Unterschied zu machen, fängt erstmal im Kleinen an. Nicht gleich die ganze Welt verändern zu wollen, sondern vielleicht erstmal sich selbst. Und nicht das Problem zu lösen, sondern es vielleicht erst einmal wahrzunehmen. Wir haben Grenzen, die wir -auch wenn es manchmal schwer fällt, sieht man doch viel Leid und Armut- akzeptieren müssen. Allein die Tatsache, dass wir vor Ort waren und die Gemeinden dort gestärkt haben, dass die Menschen gesehen haben, dass sich jemand um sie kümmert, dass jemand fragt und dass jemand da ist hätte schon gereicht. Gestern habe ich diese Nachricht von einem unserer Pastoren erhalten, der unser medizinisches Camp begleitet hat. Und allein diese Worte haben mich so berührt und mir gezeigt dass, egal wie viel wir tatsächlich medizinisch helfen konnten, die Menschen sich an uns erinnern werden. Und an Gottes Liebe, die wir weitergetragen haben:

,,Dear in christ ,Anna !

I would like to say thank you all from the core of my heart for serving the sick people in Nepal . We and the people of mountain will never forget you all . Surely God will reward you".

Die Menschen dort haben gesehen, dass wir Christen sind und dass wir das für und mit Gott getan

haben. Und wir beten alle dafür und vertrauen darauf, dass die Samen die wir gesäht haben jetzt aufgehen und wachsen werden.

 

Eigentlich wären die Umstände unter denen wir lebten, das Leid und die Armut kein Grund glücklich zu sein, aber ich war und bin es immer noch, weil ich das Gefühl hatte, dass ich genau am richtigen Ort bin. Weil ich wahnsinnig dankbar bin, all die lieben Menschen kennengelernt zu haben, dass ich hier sein und helfen kann. Und weil ich die Hoffnung der Menschen gesehen habe. Menschen, die wahnsinnig geduldig und stark sind und trotzdem zufrieden, auch wenn sie so wenig haben.

Und ich nehme viele tolle Begegnungen und Geschichten mit. Auch Begegnungen mit Gott und die Gewissheit, dass wir ihm vertrauen können. Auch wenn wir es lieben, wenn unsere Pläne funktionieren und Lösungen gefunden werden…oft reicht es aus, kleine Dinge zu tun und Gott vertrauen. Oder wie

unser Arzt Thorsten immer sagt: ,,Der Mensch denkt, Gott lenkt."

 

धन्यवाद /Dhanyabad (Danke) für all die Unterstützung und die lieben und mutmachenden Nachrichten!
Bis bald !

good morning himalaya🗻

20. Oktober 2016

25 Darum sage ich euch: Macht euch keine Sorgen um euren Lebensunterhalt, um Essen, Trinken und Kleidung. Leben bedeutet mehr als Essen und Trinken, und der Mensch ist wichtiger als seine Kleidung. […] 34 […] Sorgt euch nicht um morgen - der nächste Tag wird für sich selber sorgen! Es ist doch genug, wenn jeder Tag seine eigenen Lasten hat.«       - Matthäus 6:25-34 -

 

Fast drei Wochen Rucksackreise gehen nun zu Ende und es waren sehr anstrengende, aber auch wunderschöne Tage mit tollen Menschen und Begegnungen. Auch wenn man nur als ,,Tourist“ unterwegs ist, sieht man doch viele Seiten des nepalesischen Lebens. Und ich bin beeindruckt mit welcher Einfachheit die Menschen hier zurechtkommen. Die letzten Tage im Himalaya waren wahnsinnig anstrengend, aber haben mir auch einen Einblick in das Leben abseits der Zivilisation und der großen Städte gegeben. Und es ist irgendwie schön, wie man sich wieder an total einfachen Dingen erfreuen kann, wenn man sie eine Weile nicht hatte. Versiegeltes und sicheres Trinkwasser, Strom, ein kleines Stückchen Schokolade, eine warme Dusche und ein weiches Bett fühlen sich wie Luxus an. Oder die Freude darüber, dass die Geckos in meinem Zimmer die lästigen Moskitos fressen. Anders als wenn man nur davon hört ,sondern es auch tatsächlich erlebt, sieht man wirklich wieder das wesentliche und lernt die ganz normalen Dinge zu schätzen. Und ich bin so dankbar dafür, dass ich das sehen kann und dafür, was ich alles habe. Es ist ein Geschenk, das wir in Deutschland so leben können und wir sollten es nicht als selbstverständlich annehmen. Und wir könnten uns von den Nepali Gelassenheit und Zufriedenheit abschauen. Auch wenn die Menschen hier in Blech- oder Strohhütten ohne sauberes Wasser und teilweise ohne Strom leben, sind sie zufrieden. Man macht sich nicht so viele Gedanken über Probleme, die eigentlich gar keine sind und keiner denkt an morgen oder hält sich an Pläne. Die Menschen hier leben nach einem anderen Prinzip und ich wünsche mir, dass ich ein kleines Stück hiervon für mich mitnehmen kann.

Für mich waren die letzten 3 Wochen eine Chance im Land herumzureisen und Nepal zu ,,sehen". Bis jetzt war ich sehr ,,touristisch“ unterwegs, deshalb freue ich mich um so mehr darauf, Nepal von der anderen Seite kennenzulernen. Es nicht nur zu ,,sehen", sondern ,,mitzuerleben" und zu ,,fühlen".

 

Gott zu vertrauen ist nicht immer einfach, vor allem wenn man an Grenzen stößt. Und trotzdem glaube ich daran, dass viele Dinge einfach so haben sein sollen und dass Gott meinen Weg hier her gelenkt hat und ich bin gespannt, was noch alles auf mich wartet.

 

परमेश्वरले तपाईंलाई आशिष (Seid gesegnet!)



Namaste Nepal 🙏

03.Oktober 2016

Ich bin hier! Auch wenn ich es noch gar nicht richtig fassen und glauben kann, dass ich Deutschland wirklich verlassen habe. Immer wieder waren dann doch Zweifel und Ängste da und die Frage, ob das auch wirklich das Richtige ist was ich tue. Aber bereits jetzt hatte ich einige kleine Begegnungen und Erlebnisse, die mich glücklich machen.
Und ich bin überwältigt von der Stadt Kathmandu, von den Menschenmassen, die sich durch die engsten Gassen drücken, von dem Lärm, den Gerüchen, den Farben und den Menschen. Ihre Selbstverständlichkeit mit der man als ,,Fremder" hier aufgenommen wird. Jetzt schon bin ich fasziniert von der Kultur und das Abenteuer fängt jetzt erst an - und ich freue mich darauf!